Husch, husch, ab in den Wald

Eine zauberhafte Gesellschaft tollt im Musical "Into the woods" über Nordhausens Bühne.

Aufs Glatteis führt Stephen Sondheim mit Hilfe des Texters James Lapine die Zuschauer! Da werden alle nur denkbaren Elemente der bekannten Grimmschen Märchen wahrhaft kunterbunt durcheinander gemixt. Eine zauberhafte Gesellschaft von Märchenfiguren tollt durch ein märchenhaftes Reich: Rotkäppchen, Aschenputtel und auch Rapunzel, Hans mit der Kuh und der Bäcker und seine Frau, da keimen Hoffnungen und Wünsche, Hexen bieten Schrecken und dann die Hilfe nach dem herkömmlichem Rezept, drei Dinge suchen zu müssen, die zum Glück verhelfen sollen, und ab in den Wald, husch, husch. Und auch im Theater Nordhausen heißt es "Into the woods". Dem Sommernachtstraum vergleichbar begegnen, kreuzen und verwirren sich hier die verschiedenen Handlungen, aber als dann die Aufgabe endlich erfüllt ist, das Happyend nahe, Aschenputtel seinen Prinzen, des Bäckers Frau das ersehnte Baby bekommt, und so weiter, und so weiter - da glaubt man, einem teils mit romantischer Poesie, teils mit märchenhafter Simplizität von Hubert Kross jr. tändelnd verspielt in Szene gesetzten Spaß beigewohnt zu haben. Und dessen Reiz in der ungewohnten Verflechtung der verschiedenen Handlungen gelegen hat. Das Schild "Pause" wirkte wie ein Fragezeichen. Im zweiten Teil brach's dann tatsächlich los. Durch Zauber erlangtes Glück hat keinen Bestand. Quer durch die Familien verläuft der Bruch: die Liebenden entzweien sich, das Neugeborene wird zum Ballast: der Riese, vorher noch - verhöhnt und bestohlen, bedroht jetzt das friedliche Leben. Uber gegenseitigen Schuldzuweisungen zerbricht die Idylle von Eintracht, Harmonie und Liebe. Der Zwang der Not jedoch kittet die Zerwürfnisse, der Riese wird wirklich vertrieben. Was bleibt, sind Gedanken, die metapherngleich durch den Kopf ziehen: "Einigkeit macht stark", "Glück hat im Leben nur der Tüchtige", "Erst wägen, dann wagen" und welche frommen Sprüche es sonst noch so gibt. Die didaktischen Aussagen der guten alten Märchen werden in aller Naivität zu einem vergnüglich unterhaltsamen Lehrstück gefügt, mit einer Musik versehen, die sich leider auf nur wenige rhythmische Modelle stützt und der sicher auch der einprägsame Haupt-Hit fehlt, die aber durch die variabel besetzte Band unter Leitung von Erik Kross schwebend leicht, geschmackvoll, unaufdringlich und doch effektvoll die Handlung begleitet - die Entdeckerfreude der Nordhäuser Theatermacher traf bei diesem Musical wieder einmal ins Schwarze. Zwar muß darüber hinwegsehen werden; daß die sängerische Qualität der Schauspieler kaum für diese Aufgabe ausreicht. Vielleicht hätte bei der Vorbereitung auf mehr Sprechgesang und Textverständlichkeit hingearbeitet werden müssen. Insgesamt war es denn doch erstaunlich, wie sich alle Akteure mit dieser ungewohnten Spezies abfanden: Stefan Saborowski (Bäcker), Werner Schwarz (Hans), Matthias Mitteldorf (Prinz), Christiane Wascher-Jantosch (Aschenputtel), Caroline Kahmann (Bäckersfrau), Julia Hillens (Rotkäppchen), es könnte jeder erwähnt werden. Gemeinsam schien allen die Freude an diesem Spiel im Reich der kindlichen Phantasie, in den bunten Effekt, Funktion und Show vereinenden Bildern von Frauke Bischinger und der Choreografle von Ralf Schlosser. Hohe Motivation war überall spürbar, das Publikum konnte es in jeder Phase erkennen.
Hans-Jürgen Thiers, Thüringische Landeszeitung vom 25.Oktober 1993

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